Projektrückblick: Junge Muslime als Partner
Von 2015 bis 2019 führte die aej das Kooperationsprojekt „Junge Muslime als Partner – FÜR Dialog und Kooperation! GEGEN Diskriminierung!“ durch, das im Rahmen des BMFSFJ-Bundesprogramms „Demokratie leben!“ als Modellprojekt gefördert wurde.
Im Tandem vorankommen – Kooperationen zwischen Jugendverbänden unterschiedlicher Voraussetzung
Im Rahmen des fünfjährigen aej-Projekts „Junge Muslime als Partner – FÜR Dialog und Kooperation! GEGEN Diskriminierung!“ wurden die muslimischen Partnerverbände „Bund der muslimischen Jugend“ (BDMJ/ DİTİB-Landesjugendverband Niedersachsen und Bremen), „Muslimische Jugend in Deutschland“ (MJD) und lokale Jugendgruppen des „Verband der islamischen Kulturzentren e.V.“ (VIKZ) dabei unterstützt, sich weiter zu etablieren und Zugang zu jugendverbandlichen Strukturen zu erlangen. Mit der verstärkten Sichtbarmachung muslimischen Engagements in der Jugendarbeit sollte zugleich der wachsenden Tendenz von Islam- und Muslimfeindlichkeit entgegengewirkt werden.
Die drei muslimischen Verbände kooperierten jeweils an zwei bis drei Standorten bundesweit mit evangelischen Partnern, die die mehrheitlich ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen coachten und gemeinsame Aktionen durchführen. Im Verlauf des Projekts entstand für Multiplikator*innen der Jugendarbeit zudem die multimediale Materialsammlung „Jung, muslimisch, deutsch – normal! Diskriminierungskritische Zugänge zum Thema Islam in der Jugendarbeit“, das kostenlos über die aej-Geschäftsstelle bezogen werden kann.
Publikationen und Materialien aus dem Projekt
aej | Publikation
Jung, muslimisch, deutsch - normal!
Muslim*innen sind selbstverständlicher Teil Deutschlands und leben ihren Alltag wie alle anderen Bürger*innen auch, werden in dieser Normalität aber überwiegend nicht gesehen. Die Broschüre will dabei helfen, diese Wahrnehmung zu verstärken und bietet diskriminierungskritische Zugänge zum Thema Islam in der Jugendarbeit.
Die Broschüre ist Teil des gleichnamigen Materialpakets, kann aber auch einzeln bezogen werden.
2018, 104 S.
Preis: kostenlos
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Publikation herunterladenaej | Publikation
Multimediale Bildungsmaterialien "Jung, muslimisch, deutsch - normal!"
Im Rahmen des Kooperationsprojekts "Junge Muslime als Partner - FÜR Dialog und Kooperation! GEGEN Diskriminierung!" sind verschiedene Materialien für die jugendpolitische Bildungsarbeit entstanden, die Vorurteilsfreie Zugänge zum Themenfeld "Jugend und Islam" schaffen sollen. Die Materialien sind im Paket erhältlich.
Ein Materialpaket enthält einen QR-Code zum Download des Kurzfilms "Bayram wie Weihnachten" (ca. 23 Minuten), die Broschüre "Jung, muslimisch, deutsch normal - Diskriminierungskritische Zugänge zum Thema Islam in der Jugendarbeit" , sowie die Spielkarten und die kostenlose App "Wen siehst Du?"
Hrsg. von der aej
2019
Preis: kostenlos
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Bildungsmaterialien bestellenaej | App-Zubehör
Spielkarten zur AR-App "Wen siehst Du?"
Als Teil der Materialsammlung "Jung, muslimisch, deutsch - normal!", wurde 2018 eine Augmented Reality (AR)-App produziert. Die App ist ind Appsore für Android und iOS verfügbar. Die App funktioniert mit zugehörigen Spielkarten und kann in der Kinder- und Jugendbildung eingesetzt werden, um Zuschreibungen reflektieren zu lernen. Die Spielkarten beinhalten zehn unterschiedliche Porträts, über die sich Jugendliche in Kleingruppen im wahrsten Sinne des Wortes "ein Bild" machen sollen. Im Anschluss an die Diskussion, was die Jugendlichen über eine jeweilige Person zu wissen glauben können sie die Bilder mit ihrem Smartphone scannen. Die zuvor installierte App spielt dann die zum jeweiligen Bild gehörigen Kurzvideos ab, in denen sich die porträtierten Personen selbst vorstellen.
Spielkarten herunterladenErfahrungen aus dem Projekt
Verständnis für die Kooperationspartner*innen aufbringen
Auch wenn zwei religiöse Jugendverbände wie die Evangelische Jugend und muslimische Jugendverbände kooperieren spielt der interreligiöse Dialog nicht zwangsläufig die entscheidende Rolle bei der Zusammenarbeit – auch, wenn beidseitig großes Interesse besteht, die jeweils andere religiöse Verortung und Lebenspraxis besser kennenzulernen. Auf Seiten der jungen Partnerverbände standen zunächst Fragen im Raum, die sich auf Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung, der Finanzierung der Arbeit und der Erfüllung der förderrechtlichen Voraussetzungen beziehen. Bei einer solchen jugendpolitischen Projektausrichtung liegt dann ein erster Schritt der gegenseitigen Annäherung bereits darin, die je verschiedenen religiösen Bedürfnisse in den Projektalltag zu integrieren und beispielsweise Gebetsräume und entsprechende Pausen für Muslim*innen bereitzuhalten, damit diese ihren religiösen Pflichten nachkommen können. Bei einem Austausch zwischen zwei religiösen Verbänden besteht zu Recht die Vorannahme, dass die jeweiligen Partner*innen den geäußerten religiösen Bedürfnissen gegenüber Verständnis aufbringen. Gerade diese Akzeptanz der gelebten Religiosität durch christliche Verbände wird von vielen muslimischen Akteur*innen geschätzt, die sich ansonsten im gesamtgesellschaftlich-säkularen Umfeld für ihre Lebensweise rechtfertigen müssen und sich mit Muslim- und Islamfeindlichkeit konfrontiert sehen.
Die Basis einer funktionierenden Kooperation ist der einzelne Mensch
Die Kooperationen, die aufgebaut werden, kommen zwar zwischen Verbandsvertreter*innen zustande, werden aber wie jeder andere Kontakt auch von Menschen gestaltet. Sie sind dadurch stark personenbezogen und die Art der geteilten Sympathie kann entscheidend zum Gelingen oder Stagnieren eines Projekts beitragen. Dazu kommt, dass insbesondere in der Jugendverbandsarbeit Verantwortlichkeiten rasch wechseln können, weil Engagierte zum Beginn eines Studiums, durch den Berufseinstieg oder im Zuge der Familiengründung ihre Mandate niederlegen. Auch wenn diese Erfahrung für langjährige Multiplikator*innen der Jugendarbeit nicht neu sind, erfordert es gerade in Tandem-Kooperationen zwischen von Diskriminierung betroffenen und Mehrheitsangehörigen Partner*innen Fingerspitzengefühl, um Enttäuschungen über das Abreißen von Kontakten nicht durch Faktoren wie religiöse und lebenspraktische Differenzen fehlzuinterpretieren. Vielmehr gehört es zur Realität von Projekten, die dem Aufbau grundlegender Strukturen dienen, dass ein mühsamer Neubeginn dazugehört, wenn ein Wechsel von Ansprechpartner*innen stattfindet. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich bereits aus der Lage der rein ehrenamtlichen Beteiligten der marginalisierten Verbände, die für die Umsetzung der Projekte häufig über keinerlei institutionalisierten Rückhalt wie eine Geschäftsstelle verfügen: Diese Ehrenamtlichen müssen für ihren Einsatz mehr und andere Hürden der Mehrfachbelastungen überwinden, die sich langfristig als unüberwindbar herausstellen können. Daher sollte eine zentrale Forderung der etablierten Verbände sein, dass künftig mehr Vereine junger Migrant*innen den Zugang zu Regelförderung erhalten, um den qualitativen Sprung in die Professionalisierung bewältigen zu können. Solange junge Verbandsstrukturen über keinerlei Hauptberuflichkeit verfügen, können sie nicht mit anderen Verbänden auf Augenhöhe arbeiten. Bereits kleinere Stellenanteile versetzen die Kooperationspartner in die Lage, ihre Strukturen nachhaltig aufzubauen.
Stereotype mediale Darstellungen überwinden
Ein wichtiges Ziel von Coaching- und Begegnungsprojekten ist die Einsicht, dass die beteiligten Jugendlichen sich trotz ihrer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Trotz aller Offenheit der Projektbeteiligten zeigen sich zu Beginn der Kooperation erfahrungsgemäß Unsicherheiten in Bezug auf die gemeinsame Basis. Stereotype mediale Darstellungen von Muslim*innen und den Islam tragen indes viel dazu bei, dass diese als „anders“ wahrgenommen werden. Doch auch über die Vertreter*innen der christlichen Verbände bestehen Vorannahmen, die nicht immer der Wirklichkeit entsprechen. So können manche Projektengagieren im Verlaufe der Kooperation die Erfahrung machen, dass es eben nicht die jeweils andere Religionszugehörigkeit ist, die Differenz bewirkt, sondern zum Beispiel Altersunterschiede der Kooperationspartner, unterschiedliche Interessen oder Grade von Frömmigkeit. Während viele muslimische Jugendliche in Kooperationen mit christlichen Verbänden die Gelegenheit sehen, endlich mit anderen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, für die ihre Religiosität ebenfalls einen zentralen Aspekt ihrer Identität ausmacht, teilen evangelische Jugendliche diese Erwartungshaltung nicht immer oder verorten die Auseinandersetzung mit ihrem Glauben eher ins Private. Insofern ist es bedeutsam, bei der Planung gemeinsamer Aktivitäten ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Interessen und Erwartungshaltungen der Beteiligten zu generieren sowie notwendige Schritte auf dem Weg zur Professionalisierung und Spaß an vergleichsweise offenen Freizeitaktivitäten in der Waage zu halten. Wenn am Ende der Projekte die Erkenntnis gereift ist, dass die unterschiedlichen religiösen Traditionen wertschätzend nebeneinanderstehen können, partnerschaftliche Beziehungen aufgebaut wurden und die Verbände solidarisch dem Misstrauen gegenüber muslimischen Akteuren entgegentreten können, dann kann eine Kooperation als erfolgreich gewertet werden. Perspektivisch schließen diese Bemühungen mit ein, dass auch muslimische Jugendverbände ihre Mitglieder künftig auf den unterschiedlichen Ebenen der Jugendverbandslandschaft angemessen und professionell repräsentieren können.
Gelingensfaktoren für Nachfolgeprojekte
Ausgehend von den Kooperationsprojekten der aej, die seit ihrem Pilotprojekt 2008 in ihrer Konzeption stetig weiterentwickelt wurden, lassen sich folgende Gelingensfaktoren ausmachen, die derartige Projekte für neue Verbände zum Sprungbrett machen können:
- Eine mehrjährige Laufzeit der Projekte, die bestenfalls fünf Jahre umfassen sollte. Der Aufbau ehrenamtlicher Strukturen kann zu einer mühsamen Angelegenheit werden, da Verantwortlichkeiten oftmals wechseln und neben anderen Verpflichtungen wie Studium und Beruf ausgeübt werde müssen. Je länger die Laufzeit eines Projekts, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Aufgebaute überdauert
. - Eine gute Anbindung an die Basen der beteiligten Herkunftsverbände. Verbandsfreundschaften oder interreligiöse Dialoge können nur dann in der Breite Wirkung entfalten, wenn sie mit der jeweiligen Verbandswirklichkeit gekoppelt sind. Andernfalls bleiben Projekte reine Initiativen zwischen Einzelpersonen und nehmen die Mitgliedschaft nicht mit.
- Klare Regeln für Projektbezogene Abläufe und Verantwortlichkeiten. Kooperationsprojekte werden in aller Regel durch eine hauptberufliche Person koordiniert, die die Rahmung des Projekts und den Kontakt mit Fördermittelgeber*innen sicherstellt. Um im Projektalltag nicht an den ehrenamtlichen Partner*innen vorbei zu steuern, weil Kommunikationswege zwischen Haupt- und Ehrenamt erschwert sind, ist es sinnvoll, schon zu Projektbeginn zu definieren, welche Projektbelange gemeinschaftlich getroffen werden sollen und in welchen Fragen die Steuerung freie Hand behält.
- Stellenanteile bei allen Beteiligten. Strukturen innerhalb ehrenamtlich organisierter Jugendverbände sind wichtig und die Qualifizierung von Ehrenamtlichen durch Jugendleiter*innenschulungen (Juleica) ist zu begrüßen. Die Nachhaltigkeit einer solchen Förderung kommt aber an ihre Grenzen, wenn auch perspektivisch keine Hauptberuflichkeit in Sicht ist. Projekte sollten daher bei allen beteiligten Verbänden Stellenanteile schaffen, da dies zum einen zu mehr Augenhöhe verhilft, zum anderen eine massive Katalysatorfunktion für den im Aufbau begriffenen Verband beinhaltet.
- Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld durch den etablierten Verband. Die Zusammenarbeit zwischen den Verbänden findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einem gesellschaftlichen Klima, mit dem insbesondere junge Muslim*innen, Jugendliche of Colour, LGBTI*- und jüdische Jugendliche zu kämpfen haben. Projektbeteiligte sollten sich daher mit den spezifischen Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen, die es insbesondere den jeweiligen Projektpartnern schwer machen, sich zu etablieren, um als solidarische*r Partner*in agieren zu können.
Wenn es gelingt, die benannten Punkte in Projektkonzeptionen umzusetzen, stehen die Chancen gut, dass derartige Projekte zur weiteren interkulturellen Öffnung der Jugendverbandsarbeit beitragen und jugendverbandliche Gremien und Verbände künftig ein realistischeres Abbild der Gesellschaft darstellen werden.