Antimuslimischer Rassismus in Deutschland – Ergebnisse und Handlungsempfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit

2023 veröffentlichte der vom Bundesinnenministerium eingesetzte Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) seinen Abschlussbericht. Auf dieser Seite fassen wir zusammen, welche Ergebnisse und Empfehlungen des Berichts für junge Menschen unter anderem in den Bereichen Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit von besonderer Bedeutung sind.

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Worum geht's?

Antimuslimischer Rassismus in Deutschland

In Deutschland leben ca. 5,5 Mio. Menschen muslimischen Glaubens. Darunter ca. 1,8 Mio. muslimische Kinder und Jugendliche zu. Die Anzahl der Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind, geht allerdings weit über die 5,5 Mio. hinaus, da auch viele nicht-Muslim*innen als solche wahrgenommen werden.

Empirische Erhebungen zur Verbreitung von rassistischen und menschenfeindlichen Einstellungen zeigen seit vielen Jahren, dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, der Islam passe nicht zu ihrer Kultur und sie sich „durch die vielen Muslime […] manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ fühlen. Knapp 30 % würde die Migration nach Deutschland allein aufgrund des muslimischen Glaubens Zugewanderter ablehnen.

Diese Ressentiments wirken sich in allen Lebensbereichen der Betroffenen aus: von der Wohnungs- und Jobsuche bis hin zur fehlenden Repräsentation und Anerkennung im politischen System.


Warum wurde der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit gegründet?

Der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat mit dem Auftrag eingesetzt, aktuelle und sich wandelnde Erscheinungsformen von Islam- und Muslimfeindlichkeit in Deutschland zu analysieren und als Ergebnis einen Bericht vorzulegen sowie Empfehlungen für den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus und Ausgrenzung zu erarbeiten.

Als Grundlage ihrer Arbeit dienten wissenschaftliche Studien und renommierte Survey-Reihen, die Hinweise auf das Ausmaß und die unterschiedlichen Facetten muslimfeindlicher Einstellungen in Deutschland boten sowie Expert*innen-Hearings.

Der UEM bestand aus neun Wissenschaftler- und Expert*innen, die innerhalb von 2½ Jahren konkrete Problemlagen der Islam- und Muslimfeindlichkeit in den Bereichen Politik, Bildung, Medien, Kultur, Justiz, Verwaltung und Alltagsleben identifizieren und Handlungsempfehlungen formulieren sollten. Diese richten sich an die Bundesregierung und seine Institutionen.

Aus den Handlungsempfehlungen lassen sich auch für die Jugendarbeit und die Jugendverbandsarbeit wertvolle Einsichten ableiten. Im Weiteren werden wir euch diese übersichtlich erklären und zusammenfassen.


Antimuslimischer Rassismus?

Der UEM verwendet den Begriff „Muslimfeindlichkeit“ synonym mit „antimuslimischem Rassismus“ (Bericht S. 7). Auf dieser Seite werden wir im Folgenden in der Regel den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ verwenden, da wir in unserer Arbeit diesen ebenfalls vorwiegend nutzen.


Was steht drin? – Kernaussagen des UEM-Berichts

  • Antimuslimischer Rassismus ist kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung verbreitet und seit vielen Jahren auf einem beständig hohen Niveau. Etwa jede*r Zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu.
  • Muslim*innen werden zum einen als besonders „fremde“ Zuwander*innen wahrgenommen und zum anderen als Angehörige einer angeblich „rückständigen“ Religion. Im Zusammenhang mit religionsbezogenen Themen wird der Islam pauschal mit Gewalt, Extremismus und Rückständigkeit verknüpft. In Folge wird Muslim*innen eine Affinität zu Gewalt, Extremismus und patriarchalen Wertvorstellen unterstellt.
  • Muslimische Frömmigkeit wird oft mit Fundamentalismus gleichgesetzt und es wird Bereitschaft geäußert Grundrechtseinschränkungen im Bereich der Religionsfreiheit für Muslim*innen zu befürworten. Diskriminierung erleben die Betroffenen zumeist an Orten verstärkter gesellschaftlicher Interaktion und Teilhabe: im öffentlichen Raum, in der Bildung, in der Arbeitswelt oder auf dem Wohnungsmarkt.
  • In der Kinder- und Jugendhilfe begegnen muslimische Kinder und Jugendliche häufig strukturellen Barrieren und begrenzten Teilhabemöglichkeiten. Angebote der Kinder- und Jugendarbeit erreichen sie nicht explizit, womit ihnen geringere Möglichkeiten politischer Partizipation offenstehen, wie sie beispielweise in den Strukturen der Jugendverbandsarbeit durch den Deutschen Bundesjugendring (DBJR) und die Landesjugendringe möglich wären.

Im Detail: Antimuslimischer Rassismus ...

  1. Muslimische Kinder und Jugendliche sind eine stetig wachsende und wichtige Zielgruppe für die Kinder- und Jugendhilfe (KJH). Etwa 43 % der Muslim*innen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind unter 25 Jahren – das entspricht etwa 2,4 Mio. jungen Menschen.

    Muslimische Jugendkulturen in Deutschland sind vielfältig. Und damit auch ihr gegenwärtiges zivilgesellschaftliches Engagement in Initiativen, unabhängigen Vereinen oder Jugendgruppen. Gerade Jugendgruppen haben für sie eine große Bedeutung und werden im Vergleich mit anderen Angeboten der KJH deutlich häufiger besucht.

    Gleichzeitig sind muslimische Akteur*innen der Jugendverbandsarbeit in der Infrastruktur der KJH bisher wenig anerkannt und selten gefördert. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass es eine seit Jahren etablierte Infrastruktur von muslimischen Trägern gibt, die ein vielfältiges Angebot und ehrenamtliches Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit leisten.

    Auf lokaler und kommunaler Verwaltungsebene herrscht ein Mangel an Wissen und Kenntnissen über muslimische Akteur*innen, Angebote und Trägerstrukturen – das erschwert Zugänge. Diese Wissenslücke führt zu eine Schieflage der Repräsentation. Es mangelt ebenso an Religionssensibilität.

    Strukturelle Barrieren und Ausschlüsse von Teilhabechancen sind bei migrantischen und migrantisierten Vereinen besonders oft festzustellen. Sie verhindern Partizipationsmöglichkeiten als Interessensverband. Die Bekanntheit von etablierten Jugendverbänden und etablierter Selbstorganisation hat oftmals mit einer langjährigen Vernetzungsarbeit in professionellen und hauptamtlichen Strukturen zu tun, die neuere Angebote ehrenamtlich erbrachter Selbstorganisationen ohne Förderung bzw. finanzielle Ressourcen nicht leisten können.

    Es bedarf in der KJH eines proaktiven Zugehens und Zusammenarbeitens mit muslimischen bzw. migrantischen Selbstorganisationen und Verbänden, die sich kommunal gegründet haben und viel zur Jugendarbeit beitragen.

    Herausforderungen für muslimische Jugendverbände

    • Junge Muslim*innen werden durch einige Angebotsbereiche des KJH tendenziell selten erreicht z. B. durch die Jugendverbandsarbeit.
    • Das Jugendverbandssystem stellt dem Anspruch nach ein institutionalisiertes demokratisches Vertretungssystem aller jungen Menschen dar. In Bezug auf muslimische junge Menschen besteht allerdings ein Repräsentationsdefizit.
    • In nur sechs von 16 Landesjugendringen ist ein muslimischer Jugendverband (DITIB Jugend) als ordentliches Mitglied mit Stimmrecht vertreten.
    • Die Neugründung des Bündnisses für muslimische Jugendarbeit im Juli 2022 ist ein wichtiger Schritt zur Teilhabemöglichkeit muslimischer Jugendarbeit.
    • Auf der lokaler und kommunaler Verwaltungsebene ist die Beratung und Fortbildung von Verwaltungsfachkräften notwendig. Es muss eine Qualifizierung im Themenfeld Rassismuskritik und Migrationspädagogik stattfinden. Punktuelle Weiterbildungsangebote reichen nicht aus, es sind Veränderungen auf institutioneller und organisationaler Ebene erforderlich.

    Auszug aus dem UEM-Bericht

    „In der KJH sind muslimische Kinder und Jugendliche häufig mit strukturellen Barrieren und mangelnden Teilhabemöglichkeiten konfrontiert. Angebote der Kinder- und Jugendarbeit erreichen sie deutlich seltener. Zudem hat muslimische Jugendarbeit geringere Möglichkeiten politsicher Partizipation (Jugendpolitik), beispielsweise an den etablierten Strukturen der Jugendverbandsarbeit über den DBJR und die LJR. Muslimische Jugendverbandsarbeit sollte als selbstverständlicher Teil der konfessionell orientierten Jugendverbandsarbeit anerkannt und gefördert werden, um eine nachhaltige deutsch-muslimische Jugendarbeit zu etablieren.“ (UEM-Bericht, S. 166)

    Handlungsempfehlung des UEM

    • Die Aufnahme muslimischer Jugendverbandsarbeit in das etablierte Jugendverbandssystem: Die strukturelle Teilhabemöglichkeit von jungen Muslim*innen in der Kinder- und Jugendarbeit muss nachhaltig in Strukturen wie der DBJR und in LJR erfolgen, um die politischen Interessen und Belange von jungen Muslim*innen erfüllen zu können.

     

  2. Antimuslimischer Rassismus wird in dem Bereich der politischen Bildung erst seit wenigen Jahren bearbeitet. Lange Zeit wurde es zuvor in erster Linie als ein rechtsextremes Phänomen betrachtet, womit das Problem an den Rand der Gesellschaft verschoben wurde.

    Die Thematisierung von antimuslimischem Rassismus passiert – wenn sie stattfindet – zumeist im Kontext der „Islamismusprävention“, was indirekt zur Wiederholung und Verfestigung der Vorstellung von Muslim*innen als gewaltbereiter Gruppe beiträgt. Noch häufiger ist es der Fall, dass nur eine allgemeine Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus stattfindet, ohne dass antimuslimischer Rassismus eindeutig mitgedacht wird.

    Bildungsangebote, die sich explizit mit Islam- oder Muslimfeindlichkeit auseinandersetzen, tun dies oft, indem sie „den Islam“ erklären oder die Frage versuchen zu beantworten „Welche Rolle spielt Gewalt im Islam?“. Diese Vermittlung von „beruhigendem Wissen“ soll Vorurteile abbauen, trägt jedoch vor allem zur Fremdheitswahrnehmung von Muslim*innen als „Andere“ der Gesellschaft bei. Derartige Angebote klammern die Benennung rassistischer Strukturen und ihrer Ursprünge aus.  

    Herausforderungen

    • Die eigene institutionelle Praxis muss rassismuskritisch überprüft werden.
    • Personalstruktur, Arbeitsbereich, Zielgruppen und Angebote müssen auf institutionell und strukturell verankerte Praktiken von antimuslimischem Rassismus überprüft und rassismuskritisch gestaltet werden.

    Handlungsempfehlungen des UEM

    • Die Initiierung und Förderung eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks für muslimische Akteur*innen in der politischen Bildung, um einen fachlichen Austausch zur Vernetzung zu ermöglichen.
    • Die Etablierung von qualitativen Standards in der politischen Bildung, angelehnt an rassismuskritische und intersektionale Ansätze. Die Zielgruppe ist dabei die Gesamtgesellschaft. Dabei ist das Zusammendenken von antimuslimischem Rassismus mit andern Formen der Diskriminierung einzubeziehen.

     

  3. Schule soll ein Ort gleichberechtigten Lernens und der Erziehung sein. Dennoch kann sich die Schule als staatliche Einrichtung nicht gesellschaftlichen Ungerechtigkeitsverhältnissen entziehen, die auch bis in sie hineinwirken. Es konnte in der Vergangenheit vielfach durch Studien gezeigt werden, dass die soziale Herkunft etwa eng verknüpft ist mit dem schulischen Bildungserfolg. Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind besonders von dieser Ungleichheit betroffen.

    Der UEM hält fest, dass „Ungleichheit in der Bildungsbeteiligung nicht zwangsläufig auf die individuellen Eigenschaften der Kinder oder deren migrationsbedingte Startnachteile zurückzuführen sei, sondern in der Organisation Schule selbst erzeugt wird.“

    Die Ursachen von Benachteiligungen in der Schule liegen also in der Regel nicht an dem böswilligen Verhalten von Einzelpersonen, sondern an den etablierten Strukturen in der Schule selbst. Diese sogenannte institutionelle Diskriminierung, ist die hauptsächliche Ursache von Benachteiligungen und entsteht durch die Übertragung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Ungleichheiten in das System Schule.

    Die „interkulturelle Pädagogik“, welche seit den 1990ern in der Bildung Anwendung findet, betont den positiven Umgang mit Gleichheit und Andersartigkeit. Jedoch geht mit dieser Anerkennung die Gefahr einer Überbetonung von Andersartigkeit einher. Dies mündet darin, dass soziale Probleme, bei denen muslimische Schüler*innen eine Rolle spielen, oft einseitig auf den „kulturellen Hintergrund“ zurückgeführt werden. Diese scheinbar feststehende „andere Kultur“, trennt die Betroffenen in dieser Sichtweise auch immer von der „eigenen Kultur“ und schafft dadurch einen Ausschluss.

    Als Kritik auf die interkulturelle Pädagogik ist der rassismuskritische Ansatz im Bildungsbereich entstanden, der sich gegenwärtig zunehmen verbreitet. Eine rassismuskritische Perspektive begreift Ungleichheiten aufgrund von Rassismus als omnipräsent in der Gesellschaft.

    Herausforderungen im Schulalltag: Religion als Störfaktor

    Wenn es religiöse Konflikte gibt, geht es häufig um den Islam. Etwa beim Kopftuch-tragen, im Sexualkundeunterricht oder beim Fasten im Ramadan. Beim Umgang mit Konflikten wird der Islam meist als Herausforderung oder gar als „Störung des regulären und gewohnten Ablaufs im Schulalltag“ betrachtet.

    Muslim*innen wird ihr Recht auf Religionsfreiheit zwar zugestanden, doch dies wird an Bedingungen gekoppelt, die dem Selbstverständnis Deutschlands als säkularem Staat folgen. Der Raum Schule hat die Tendenz, religiösen Bedarfen so wenig Raum wie möglich zu geben. Das Aufeinandertreffen einer sich stetig säkularisierenden Gesellschaft auf immer häufiger geäußerte religiöse Bedarfe wird kaum diskutiert.

    Wissenschaftler*innen fordern deshalb ein „pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft“. Dies bedeutet, dass eine Auseinandersetzung mit Diskriminierungsformen zur Kernkompetenz gehören sollte und dass antimuslimischer Rassismus als eigenständiges Phänomen aufgegriffen wird. Es muss sich außerdem mit muslimfeindlichen Vorurteilen in Schulmaterialen sowie mit gesellschaftlichen Diskursen über den Islam und Muslim*innen beschäftigt werden.

    Handlungsempfehlung des UEM

    • Die Entwicklung von Regelangeboten zur Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften – darunter auch Kita-Personal – und Multiplikator*innen: Lehrende und Verantwortliche in pädagogischen Räumen sollten im Rahmen ihrer Ausbildung als Pflichtmodul für verschiedene Diskriminierungsformen, darunter auch antimuslimischer Rassismus, sensibilisiert werden. Außerdem sollten sie darin gestärkt werden, entsprechende Umgangsformen im praktischen Alltag zu entwickeln.

     

    Weitere Informationem zum Schwerpunktthema Schule

    ZEOK, einer Partner der aej, hat einen Schwerpunkt im Bereich Schule und hierzu ein Interview veröffentlicht.

     


Weiterführende Informationen



Die aej im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit

Das Kompetenznetzwerk stellt sich gegen die immer virulenter werdende Islamfeindlichkeit und setzt sich für die Stärkung einer ambiguitätstoleranten Gesellschaft ein, in der jede*r angstfrei leben kann.


Kontakt

Charlotte Natour
Projektleiterin für Kompetenznetzwerk Prävention Islam- und Muslimfeindlichkeit
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