Von der Mitte bis zum rechten Terror – Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus als Bindeglieder

Der rechte Terror ist nicht losgelöst von der (restlichen) Gesellschaft insgesamt zu verstehen, sondern als ideologische Zuspitzung und Radikalisierung eines rassistischen und antisemitischen Denkens, das in unterschiedlichen Ausprägungen – von still duldend bis aktiv unterstützend) von einem beachtlichen Teil der Bevölkerung mitgetragen wird.

Springerstiefel auf Asphalt
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Am 19. Februar 2020 erschoss in Hanau ein rechtsextremistischer Täter neun Menschen, die er gezielt als Opfer ausgewählt hatte: als Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund. Das Entsetzen in der breiten Bevölkerung über die rassistische Tat war groß. Doch leider ereigneten sich die Morde weder im luftleeren Raum noch völlig überraschend. Vielmehr bilden sie den traurigen Höhepunkt einer langen Reihe rechtsextremistischer Anschläge in Deutschland, die seit der deutschen Wiedervereinigung im Land verübt wurden und spätestens seit der Aufdeckung des NSU wieder im öffentlichen Bewusstsein sind.

Im Oktober 2019, nur wenige Monate vor den Morden in Hanau hatte ein weiterer rechtsextremer Täter versucht, gewaltsam am jüdischen Feiertag Yom Kippur in die Synagoge in Halle einzudringen, um die dort versammelten Gläubigen zu töten. Als er mit seinem Vorhaben an Eingang scheiterte erschoss er eine Passantin in unmittelbarer Nähe der Synagoge sowie den Gast eines nahegelegenen Dönerimbisses. Sein überdeutlich antisemitisches Tatmotiv verknüpfte der Täter in einem Bekennerschreiben mit antimuslimischem Rassismus und der Furcht vor Zuwanderung aus islamischen Staaten.

Kontinuitäten: Rechter Terror der vergangenen Jahrzehnte

Und es ist noch nicht lange her, da dominierten Berichte über die Mordserie des NSU und das Gerichtsverfahren gegen Beate Tschäpe u.a. die Medien. Erst im Juli 2018 wurde das abschließende Urteil im Prozess gegen Beate Zschäpe und mögliche Helfer*innen des Trios gesprochen. Zwischen den Jahren 2000 und 2007 konnte das rechtsextremistische Netzwerk unerkannt zehn Menschen in Deutschland ermorden, weil die ermittelnden Behörden einen rechten Hintergrund der Taten jahrelang für ausgeschlossen hielten. Dabei ließ und lässt sich die Kontinuität rechter Gewalt, die in den 1990er Jahren medial verstärkt in den Fokus rückte, bis in die 1970er/1980er Jahre zurück nachweisen. Als gesellschaftspolitische Zäsur sind seither insbesondere die Anschläge von Hoyerswerda 1991, Rostock-Lichtenhagen 1992, Mölln 1992 und Solingen 1993 zum Synonym für rechtsextremistischen Terror in der Bundesrepublik geworden. Wie auch die jüngeren Anschläge der vergangenen Jahre speisten sich die Morde der 1990er Jahre aus einem gesellschaftlichen Klima, das die verstärkte Zuwanderung durch den Jugoslawienkrieg und andere Krisenregionen der Welt als ein „zu viel“ verhandelte und Rufe nach einer Verschärfung des Asylrechts laut wurden. So ist der rechte Terror nicht losgelöst von der (restlichen) Gesellschaft insgesamt zu verstehen, sondern als ideologische Zuspitzung und Radikalisierung eines rassistischen und antisemitischen Denkens, das in unterschiedlichen Ausprägungen – von still duldend bis aktiv unterstützend) von einem beachtlichen Teil der Bevölkerung mitgetragen wird.

Struktureller Rassismus als Handicap bei NSU-Ermittlungen

Die vermeintliche Ruhe vor rechtsextremistischen Anschlägen und Rechtsextremismus in den 2000er Jahren erwies sich rückwirkend als dessen Hochphase. Dennoch konnten in dieser Zeit auch die Medienvertreter*innen lange nicht erkennen, dass sich bei der Mordserie des NSU mit Opfern überwiegend türkischer Migrationsbiografie ein rechter Täter*innenkreis geradezu aufdrängte. Allzu leicht fügte sich doch die Arbeitshypothese der Ermittlungsbehörden, wonach es sich um einen Zusammenhang mit Drogendelikten und mafiösen Strukturen handeln müsse, in den rassistischen Gesamtdiskurs ein, der migrantische Communities in erster Linie als problembehaftet identifiziert, statt diese als selbstverständlichen Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu betrachten. Stattdessen war es jahrzehntelang Praxis, die Themen Migration, soziale Problemstellungen und zunehmend auch die Religion des Islam zu einem Negativ-Diskurs zu verknüpfen.

Diskursverschiebung durch rechte Diskurse seit Beginn der 2010er Jahre

Den traurigen Höhepunkt markierte in diesem Zusammenhang das ehemalige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazin, mit seiner 2010 vorgelegten Publikation „Deutschland schafft sich ab“, der damit ein menschenfeindliches, rassistisches Pamphlet verfasste. Die Veröffentlichung seines Buches, das zu den meistverkauften Sachbüchern seit Bestehen der Bundesrepublik zählt, markierte schließlich den Beginn eines noch offener negativ geführten, gesamtgesellschaftlichen Diskurses um die Themen Zuwanderung, Integration und Islam, der seinen Widerhall im Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien fand. Weitverbreitete Ressentiments gegenüber Geflüchteten, Muslim*innen sowie Juden und Jüdinnen wurden umso offener artikuliert und salonfähig, je mehr Anhänger*innen reaktionärer Weltbilder sich offen zu erkennen gaben.

Vorurteilsforschung weist Anstieg menschenfeindlicher Einstellungen nach

Die europafeindlichen, populistischen Bewegungen wie „Pegida“ und Co. und ihr parteipolitischer Widerhall in der AfD schlossen in ihrer Rhetorik an Sarrazin an und fußten ihre Argumentation auf eine Problematisierung, Abwertung und Rassifizierung sowohl des Islam als auch von Muslim*innen. Dabei zeigte ihr Agitieren offenbar Wirkung: Verschiedene Studien der empirischen Vorurteilsforschung weisen für das vergangene Jahrzehnt einen rasanten Anstieg islamfeindlicher Einstellungen nach, wobei die Ressentiments bis in die sogenannte „Mitte“ der Gesellschaft mitgetragen werden (u.a. „Deutsche Zustände“ des Interdisziplinären Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, „JUNITED“ der Berliner Instituts für Migrations- und Integrationsforschung). So ergab beispielsweise eine Erhebung der Mitte-Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2016, dass 50% der Befragten angaben, sie „fühlten sich durch die vielen Muslime manchmal fremd im eigenen Land“ (Zit.: Studie der Universität Leipzig). Noch zwei Jahre zuvor hatten dem „nur“ 43% zugestimmt.

Islamfeindlichkeit und Antimuslimischer Rassismus

Diese Zahlen sind erschreckend, spiegeln sie sich doch in einer ebenfalls kontinuierlichen Zunahme an Drohungen und Anschlägen auf Moscheen sowie Beschimpfungen und Übergriffen auf Muslim*innen, von denen Frauen, die Kopftuch tragen, besonders betroffen sind. Seit 2017 werden islamfeindliche Straftaten polizeilich erfasst und bezifferten sich im selben Jahr auf 1.075 Straftaten, zu denen 32 Gewaltdelikte mit Verletzen zählten. 2018 wurden insgesamt 814 Taten gezählt, dabei stieg die Anzahl an Verletzten auf 74 Personen. Zur Bedrohung durch diese islamfeindlichen und rassistischen Straftaten kommt für deutsche Muslim*innen erschwerend hinzu, dass sie zudem in hohem Maße von strukturellem- und Alltagsrassismus betroffen sind. So wurde beispielsweise für den Arbeits- und Wohnungsmarkt nachgewiesen, dass Personen mit arabischen oder türkischen Nachnamen signifikant schlechtere Chancen als ihre Mitbewerber*innen haben, zu einem Gespräch eingeladen zu werden oder eine Wohnung zu bekommen. Dabei teilen die Vorstellungen, die Personaler*innen und Vermieter*innen zögern lassen, vermeintlich oder erkennbar muslimische Personen als Bewerber*innen anzuerkennen, eine inhaltliche Verbindung zu rechten Weltbildern. Ihnen ist gemein, dass sie Muslim*innen als „anders“ markieren, ihnen ihre Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft absprechen und bestimmte Attribute zuordnen, die vermeintlich für alle als Muslim*innen gelesene Menschen gelten.

Den menschenfeindlichen Ideologien solidarisches Handeln entgegensetzen

Islamfeindliche Vorstellungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet – sie bilden zusammen mit Antisemitismus den Kern rechter Ideologie. Es ist also an uns, die „Mitte“ dafür zu sensibilisieren, dass Rassismus und Islamfeindlichkeit eine längere Tradition in Deutschland haben als uns lieb sein kann und dass man sich diesen menschenverachtenden Vorstellungen, Einflussnahmen und Strukturen entschieden entgegenstellen muss. Im Zuge des aktuell erlebten Rechtsrucks in der deutschen Gesellschaft ist dies 75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus zwingend erforderlich.

Die aej sieht einen wichtigen Schritt auf diesem Weg darin, solidarische Kooperationen mit muslimischen Jugendverbänden einzugehen und sich im Netzwerk der „Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“/ CLAIM zu engagieren.


Kontakt

Onna Buchholt
Projektleiterin für Kompetenznetzwerk Prävention Islam- und Muslimfeindlichkeit

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Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit

Das Netzwerk stellt sich gegen die immer virulenter werdende Islamfeindlichkeit, setzt sich für die Partizipation aller Jugendlichen an den Strukturen der Jugendverbandsarbeit ein und entwickelt Bildungsangebote.

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Im NiJaf haben sich Jugendverbände, ihre Dachorganisationen und Arbeitsgemeinschaften, Vereine junger MigrantInnen, Wissenschaft und Politik zusammengeschlossen, um die Jugendverbandsarbeit bei ihrer interkulturellen Öffnung zu unterstützen.

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Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern bieten wir passgenaue Fortbildungsformate für Haupt- und Ehrenamtliche Mitarbeitende in der Jugend(verbands)arbeit, um für das Thema antimuslimischer Rassismus zu sensibilisieren.