Andachten aus Bibel AnDenken
Die Reihe "Bibel AnDenken" erscheint in gemeinsamer Herausgeberschaft der aej mit der Konferenz der Landesjugendpfarrerinnen und Landesjugendpfarrer in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bietet Andachtsentwürfe, Materialien für Gruppenstunden und Freizeiten, Lieder, Informationen zur Jahreslosung und Monatssprüchen.

Andacht März 2025
Fremdheit überwinden
»Im eigenen Bett schläft es sich immer noch am besten!« Viele sagen das, wenn sie nach einer Reise wieder nach Hause kommen. Zu Hause ist alles vertraut:
das Bett, der Inhalt der Schubladen, einfach alles. Am Morgen schleiche ich noch müde und schlaftrunken ins Bad und finde dennoch sofort meine Zahnbürste. Und falls ich in der Nacht Appetit oder Durst bekomme, dann gehe ich einfach an den Kühlschrank und bediene mich. Hier fühle ich mich sicher und geborgen. Anders ist es an anderen Orten und in fremden Betten. Sie fühlen sich anders an. Der Körper fühlt es, wenn er nicht auf der gewohnten Matratze schläft.
Viele Menschen in Deutschland kennen das Gefühl von Heimat. Sie sind an einem Ort aufgewachsen, der ihnen sehr vertraut ist. Aber nicht jede und jeder hat dieses Glück. Manche mussten vor Krieg, Hunger oder Verfolgung fliehen. Sie suchen Schutz und eine neue Heimat. In den letzten Jahren kamen so Millionen Menschen nach Deutschland. Vielleicht kennst auch du jemanden in deiner Schule oder Ausbildung, der oder die dies erlebt hat.
Ich erinnere mich an Amina, die als Sechsjährige mit ihrer Mutter aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist. Am Anfang war alles für sie neu: die anderen Kinder, die sie nicht kannte. Die Sprache, die sie nicht verstand. Die Wohnung, die erst nach und nach eingerichtet werden konnte. Bis auf ihre Mutter war ihr alles fremd.
Die erste Zeit in unserer Gemeinde war sie sehr schüchtern und hat die anderen Kinder beim Spielen nur beobachtet. Erst als sie sich sicherer fühlte, überwand sie die Scheu. Sie fand neue Freundinnen.
Das Volk Israel erfuhr etwas Ähnliches wie Amina. Es musste vor einem unerträglichen und unterdrückenden Leben aus Ägypten flüchten. Die Israeliten hatten in Ägypten keine Rechte. Sie wurden unmenschlich behandelt. Noch auf dem Weg zu ihrer neuen Heimat gab Gott ihnen am Berg Sinai 613 Weisungen für ihr neues Leben. Eine dieser Weisungen war: »Wenn bei dir ein Fremder lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken«. (Lev 19,33) Gott sagte sogar, dass sie Fremde lieben und wie sich selbst behandeln sollten. Das Volk Israel sollte daran denken, dass auch sie in Ägypten Fremde waren.
Ein irisches Sprichwort sagt: »Fremde sind Freunde, denen man bisher nicht begegnet ist.« Fremdheit ist kein Merkmal des anderen, sondern etwas, das wir empfinden. Wenn wir jemanden als Fremden bezeichnen, sagen wir auch etwas über uns selbst. Menschen bleiben nur fremd, solange wir sie so behandeln. Das kann sogar passieren, wenn wir am gleichen Ort aufgewachsen sind oder im gleichen Haus leben. Was für Zugezogene und Flüchtlinge gilt, ist gleichzeitig auch in jeglichem Umgang miteinander bedeutsam. Mit jedem freundlichen Wort und jeder Geste der Hilfsbereitschaft können wir Fremdheit jedoch überwinden.
Auch Jesus sprach viel über Fremdsein. Er verließ sein Zuhause in Nazareth und reiste durch viele Orte in Galiläa, Judäa und sogar in das Gebiet der zehn Städte jenseits des Jordans im heutigen Syrien. Ohne festen Schlafplatz.
»Die Füchse haben Höhlen und die Vögel Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt betten konnte«, so wird er zitiert. Er wollte die Fremdheit überwinden und Menschen mit Gott versöhnen. Deshalb hat er sich auf den Weg zu den Menschen gemacht. Seine Begegnungen mit Menschen, ob jüdisch oder fremd, zeigen uns bis heute Beispiele von Nächstenliebe: die Begegnung mit dem römischen Hauptmann, der die ungeliebte Besatzungsmacht repräsentierte. Das Gespräch am Brunnen mit einer Frau aus dem als sektiererisch angesehenen Samarien. Gemeinsame Treffen mit verachteten Berufsgruppe wie Zöllnern, den Finanzhaien, die ihre Stellung wohl häufig ausnutzten. Zuletzt spricht er am Kreuz gar mit einem Verbrecher. »Heute wirst du mit mir im Paradies sein«, sagt er diesem zu, als dieser sich für eine Begegnung öffnet.
Das Leben Jesu zeigt uns, dass wir in einer Welt voller Angst und Distanz aufeinander zugehen können. Aus Fremden können Freunde werden. In der Begegnung mit Jesus erleben wir das Wunder der Gastfreundschaft und Gemeinsamkeit: Wir sind doch alle nur Menschen.
Deshalb: »Wenn bei dir ein Fremder lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken«. Warum? Weil es zum Menschsein gehört, barmherzig und gastfreundlich zu sein. Weil Vielfalt ein Teil von Gottes Schöpfung ist. Und weilSchutz und die damit verbundene Geborgenheit ein Menschenrecht ist, das allen gleichermaßen zusteht.
Amen
Christian Uhlstein
Landesjugendpfarrer und Theologische Leitung des Amtes für Jugendarbeit in der Evangelische Kirche von Westfalen