„Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung – Einstellungen gegenüber Muslim*innen und dem Islam in Deutschland“
Die Bertelsmann Stiftung veröffentlicht regelmäßig den sogenannten „Religionsmonitor“. Bereits seit 1990 untersucht sie Religion als Wertevermittler für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Religionsmonitor 2023 beschäftigt sich mit den Einstellungen gegenüber Muslim*innen und dem Islam in Deutschland. Die Autorinnen sind Isabell Diekmann und Olga Janzen.

Worum geht's?
Religionsfreiheit ist ein Grundrecht
Das Grundgesetz regelt seit über 75 Jahren das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland. Es ist das Fundament für Freiheit und gleichberechtigte Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft, die sich durch eine Vielfalt an Herkunftsgeschichten, Religionen und sozialen Lagen auszeichnet. Die Religionsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte, es verspricht freie Religionsausübung, unabhängig welcher Religion eine Person angehört. In einer zunehmend religiös vielfältigen Gesellschaft ist sie ein wichtiger Gradmesser für das Gelingen des Zusammenlebens.
Nach dem 7. Oktober 2023 steht dieses Freiheitsrecht unter Druck. Allein in den zwei Monaten nach der Eskalation in Nahost gab es fast so viele antisemitische Übergriffe wie im gesamten Jahr 2022. Auch antimuslimische Übergriffe haben deutlich zugenommen. Bereits vor den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktober waren antimuslimische und antisemitische Ressentiments in Deutschlands weit verbreitet (El-Menouar, Vopel 2023) und bieten damit einen gefährlichen Nährboden für Ausschreitungen und Übergriffe.
Grundsätzlich wirken sich tiefgehende Vorurteile nicht allein auf die Teilhabe der Betroffenen aus. Sie betreffen die Gesellschaft als Ganze, weil sie ein Einfallstor für extremistische Kräfte sind und langfristig zur Erosion von Grundwerten und einer Aushöhlung der liberalen Demokratie beitragen können.
Vorbehalte gegenüber Muslim*innen und ihrer Religion haben sich seit vielen Jahren in Deutschland festgesetzt. Der Religionsmonitor zeigt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung (52 Prozent) im Islam eine Bedrohung sieht. Das Christentum, aber auch der Buddismus und der Hinduismus dagegen werden mehrheitlich als bereichernd erlebt. Diese Negativwahrnehmung spiegelt sich auch in den Diskriminierungswahrnehmungen der muslimischen Bevölkerung wieder. So berichtet rund ein Drittel von regelmäßig erlebter Benachteiligung in verschiedenen Alltagssituationen.
Was der Religionsmonitor untersucht hat
Die Studie des Religionsmonitors fokussiert erstens auf die Vorurteile, die sich gegen den Islam als Religion richten sowie gegen Menschen, Muslim*innen oder als solche wahrgenommenen Personen. Zweitens Verhaltensintensionen, also Vorurteile, die sich in diskriminierende Handlungsabsichten übersetzen. Drittens wurde erfasst in welchem Maße differenziertes Wissen über muslimisches Leben in Deutschland vorhanden ist und wie dieses Wissen gegen Vorurteile und Diskriminierung wirksam sein kann.
Das Kernergebnis
Neben stark verbreitetem antimuslimischen Vorurteilen gibt es in breiten Teilen der Bevölkerung auch eine differenzierte Sicht auf muslimisches Leben in Deutschland. Zudem ist einer Bevölkerungsmehrheit bewusst, dass Muslim*innen im Alltag benachteiligt und angefeindet werden.
Differenziertes Wissen trägt dazu bei, dass sich eigene Vorurteile nicht in benachteiligte und diskriminierende Praktiken übersetzen. Dies ist ein wichtiger Ansatzpunkt und unterstreicht, dass religiöse Bildung ein zentraler Faktor bleibt.
Wie blicken junge Menschen auf den Islam und Muslim*innen, bzw. muslimisch gelesene Menschen? Und wie andere?
Unter jungen Menschen (16 bis 24 Jahre) finden antimuslimische Vorbehalte weniger Anklang. Sie zeigen weniger Vorurteile sowohl gegenüber dem Islam als auch gegenüber Muslim*innen. Hier bestätigen sich bereits bekannte Gruppenunterschiede. Dies mag daran liegen, das Jüngere in ihrem alltäglichen Leben – in der Schule, in Ausbildung oder in der Freizeit – häufiger mit Muslim*innen in Kontakt kommen. Gleichzeitig wachsen sie stärker als ältere Menschen in einer von Diversität geprägten Gesellschaft auf und nehmen religiöse Vielfalt eher als gesellschaftliche Normalität wahr. 40 Prozent von ihnen sind der Meinung, Muslim*innen lebten lieber in eigenen Stadtteilen, während das von den 55 bis 69-Jährigen 80 Prozent denken. Widerspruch unter den Jüngeren gibt es auch bei Zuschreibungen von Gewalt: So glaubt unter ihnen nur ein Drittel, islamistische Terrorist*innen fänden Rückhalt unter Muslim*innen, während unter den Älteren 58 Prozent so denken, unter den über 70-Jährigen sogar 78 Prozent. Die Offenheit der jungen Generation lässt sich auch daran erkennen, dass immerhin 57 Prozent einen muslimische*n Bürgermeister*in wählen würden und mehrheitlich (60 Prozent) kein Problem damit hätten, in einen Stadtteil zu ziehen, in dem viele Muslim*innen leben.
Was steht drin? – Kernaussagen des Religionsmonitors
Vorurteile gegenüber dem Islam und den Muslim*innen sind nicht deckungsgleich, aber aufeinander bezogen. Die Einstellungen zum Islam fallen durchweg negativer aus als gegenüber muslimischen oder als muslimisch wahrgenommen Menschen. Gleichwohl gibt es einen starken Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen.
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Das weit verbreitete Negativbild von Muslim*innen und ihrer Religion wird genährt durch unterschiedliche Zuschreibungen, die mit migrationspolitischen Debatten, kulturellen Wertvorstellungen sowie Fragen von religiösem Extremismus verknüpft sind. Antimuslimische Vorurteile beziehen sich am häufigsten auf die Vorstellung der Selbstabschottung. So ist in großen Teilen der nicht muslimischen Bevölkerung die Ansicht verbreitet, Muslim*innen wurden lieber unter sich bleiben (74 Prozent), lebten gern in eigenen Stadtteilen (70 Prozent) und seinen frauenfeindliche (65 Prozent). Nov verbreiteter sind Vorurteile gegen über dem Islam als Religion. Sie sind mit der Vorstellung verbunden, der Islam sei grundsätzlich mit „westlichen“ Werten unvereinbar und gewaltbereit. So sind rund drei Viertel der nicht muslimischen Befragten der Meinung, der Islam sei rückständig und verweigere sich neuen Realitäten. Ebenso groß ist der Anteil derer, die den Islam für frauenfeindlich halten oder glauben, islamische Terrorist*innen fänden Rückhalt in dieser Religion.
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58 Prozent der nicht muslimischen Befragten haben ein Problem damit, in einen Stadtteil zu ziehen, in dem viele Muslim*innen leben. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Vorstellung, Muslim*innen würden sich selbst abschotten. Für etwa jede*n Zweite*n spielt die Religionszugehörigkeit für die Wahl eines*einer Politiker*in eine Rolle: So würden 51 Prozent eine*n Bürgermeister nicht wählen, weil er oder sie eine muslimische Religionszugehörigkeit hat. Weniger Bedenken haben die Befragten bei Lehrkräften mit einem Kopftuch. Zudem äußert sich jede*r Vierte die Bereitschaft eine Partei zu wählen, die sich explizit gegen Muslim*innen richtet.
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Die Ergebnisse des Religionsmonitors weisen darauf hin, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen negativen Stereotypen und diskriminierenden Verhaltensintentionen gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Vorurteile, die direkt Muslim*innen betreffen sind stärker handlungsleitend als negative Einstellungen dem Islam gegenüber. Insbesondere die Unterstellung, Muslim*innen seinen anfällig für Extremismus, hat deutliche Auswirkungen auf die Verhaltensabsicht und löst den stärksten Distanzierungsreflex aus.
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In der deutschen Gesellschaft finden nicht nur antimuslimische Vorurteile breite Zustimmung, zugleich auch differenzierende Aussagen. 83 Prozent der Befragten ist bewusst, dass es sowohl strenggläubige als auch weniger strenggläubige Muslim*innen gibt. 85 Prozent bringen das Problembewusstsein mit, dass Handlungen einzelner Muslim*innen häufig der ganzen Gruppe zugeschrieben wird. 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Muslim*innen häufig benachteiligt oder sogar angefeindet werden. 69 Prozent glauben das Muslim*innen Rassismus erfahren. Vorurteile und differenzierende Perspektiven stehen direkt nebeneinander.
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Die Daten des Religionsmonitors zeigen bei den Vorurteilsstrukturen gegenüber Muslim*innen keine signifikanten Unterschiede zwischen Ost und West mehr. In Ostdeutschen Regionen sind die Befragten aber eher bereit, gemäß ihren Vorurteilen zu handeln, Verhaltensintentionen zu zeigen, die zu systematischer Ausgrenzung und Benachteiligung führen.
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Gegendiskurse können nur bedingt antimuslimischen Vorurteilen etwas entgegensetzten. Es ist möglich antimuslimische Vorbehalte zu hegen und zugleich ein differenziertes Bild der muslimischen Bevölkerung zu haben. Die Zustimmung zu Gegendiskursen wirkt allerdings gegen ausgrenzende Verhaltensabsichten. Vor allem das Bewusstsein über Diskriminierung und Rassismus verhindert, dass vorhanden Vorurteile in ausgrenzende Verhaltensweisen umschlagen. Dies unterstreicht die Wirksamkeit von Gegendiskursen und ihre Bedeutung im Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.
Vier zentrale Handlungsempfehlungen
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Positive Kontakte auf Augenhöhe sind ein Schlüssel, um Vorurteile zu überprüfen und abzubauen. Dies gilt erst recht in einer vielfältigen Gesellschaft mit unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und einer zunehmenden Zahl von Menschen ohne religiöse Bindung. Von der Schule bis ins Erwachsenleben braucht es Anlässe und Orte für Begegnungen, um einen Austausch zu ermöglichen, der Brücken baut. Heute können dazu auch die sozialen Medien beitragen. Sie sind die Marktplätze der digitalen Öffentlichkeit und haben das Potenzial, Menschen miteinander zu vernetzen und neue Facetten des Zusammenlebens aufzuzeigen – auch jenseits aufgeregt geführter Debatten. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, die Hass und Hetze in die Schranken weisen. Indem wir vielfältige Kontakte fördern und die Menschen und ihre Geschichten in den Blick bringen, können sich zudem positive Erfahrungen und Erzählungen stärker verbreiten und Zusammenhalt stiften.
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Vor allem die Erwachsenengenerationen müssen vermehrt für die Wirkung von Vorurteilen und Diskriminierungserfahrungen sensibilisiert werden. Dazu brauchte es Möglichkeiten des Kontakts auch ein differenziertes Wissen über die religiöse Vielfalt in Deutschland und muslimisches Leben. Gefragt ist weniger eine detaillierte Kenntnis theologischer Grundlagen als eine Auseinandersetzung mit der lebensweltlichen Praxis. Wer versteht warum für eine religiöse Gruppe bestimmte Alltagsregeln oder Feiertage wichtig sind, kann eher Verständnis und Toleranz entwickeln. Interreligiöse Kompetenz ist diesem Verständnis nach dien spezifischer Teil von interkultureller Kompetenz/ rassismuskritischer Kompetenz. Es braucht Angebote für die breite Öffentlichkeit, geeignete Fortbildungsmaßnahmen für pädagogische Multiplikator*innen und im Schulkontext sollte die Auseinandersetzung mit Formen der Menschenfeindlichkeit in den Lehrplänen besser verankert werden ebenso wie die Entwicklung religiöser Kompetenzen. Der konfessionelle Religionsunterricht könnte mehr für interreligiöse Projekte geöffnet werden. Zudem ist eine kritische Auseinandersetzung mit Lehrplänen und Schulbüchern erforderlich, die teilweise muslim*innenfeindliche Positionen und Narrative fortschreiben.
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Die Studienergebnisse zeigen, dass der Islam und die muslimische Bevölkerung unter einen Extremismusverdacht stehen, obwohl sich die Zahl der Islamist*innen in Deutschland laut Verfassungsschutzbericht auf einem Niveau von unter 1 Prozent bewegt. Die muslimische Bevölkerung ist eine vielfältige Glaubensgemeinschaft mit unterschiedlichen Ausdrucksweisen und Glaubensverständnissen. Islamischer Extremismus steht außerhalb eines allgemein akzeptierten Glaubensspektrums und wird – auch von Muslim*innen – als eine gefährliche Randerscheinung betrachtet. Eine Verortung des Islamismus innerhalb des muslimischen Mainstreams rückt ihn unzulässig in die gesellschaftliche Mitteund trägt damit zu einer Stärkung dieser religiös verbrämten Ideologie bei. Die Bekämpfung des Islamismus muss dort angesiedelt werden, wo sie hingehört: In den Bereich der Extremismusprävention. Trotz inhaltlicher Unterschiede sind die ideologischen, sozialen und politischen Wirkungsweisen von islamistischen, rechten und anderen extremistischen Strömungen sehr ähnlich. Auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen – insbesondere muslimische Verbände und Gemeinden sind gefordert sich aktiv von islamistischen Strömungen abzugrenzen.
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Die Berichterstattung und die öffentlichen Debatten rund um das Themenfeld Religion – insbesondere zum Islam – sind nach wie vor durch einen starken Problemfokus geprägt. Sie reproduzieren und festigen damit eine negative und pauschalisierende Sicht auf Muslim*innen und schören weiter Ressentiments, die sich in Diskriminierung und Anfeindungen äußern. Wir brauchen mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens, die den kursierenden Negativbildern etwas entgegensetzen. Zudem ist es wichtig, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche Akteur*innen – Medienschaffende sowie Politik und Zivilgesellschaft weiter darum bemühen, muslimisches Leben in seiner Unterschiedlichkeit sowie religiöse Vielfalt im Allgemeinen stärker sichtbar zu machen. Es braucht prominente Fürsprecher*innen, die dafür eintreten und einstehen, dass diese Vielfalt heute in Deutschland der Normalfall ist und dass sie einen Wert darstellt.
Weiterführende Informationen
- Religionsmonitor Webseite mit allen Informationen
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