Andachten aus Bibel AnDenken
Die Reihe "Bibel AnDenken" erscheint in gemeinsamer Herausgeberschaft der aej mit der Konferenz der Landesjugendpfarrerinnen und Landesjugendpfarrer in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bietet Andachtsentwürfe, Materialien für Gruppenstunden und Freizeiten, Lieder, Informationen zur Jahreslosung und Monatssprüchen.

Andacht November 2023
Zu Beginn der Andacht wird ein Bild vom Orionnebel gezeigt.
Das kann entweder per Beamer, Bildschirm oder (zur Not) auch mit Hilfe eines einmaligen Farbausdruckes geschehen. Passende Bilder sind über das Internet leicht zu beschaffen: Wer bei Suchmaschinen die Stichworte »Orionnebel Wallpaper« eingibt, findet eine Vielzahl faszinierender Bilder und Teleskopaufnahmen.
Zum Bild kann folgender Impuls gegeben werden: »Ich möchte euch ein Bild zeigen. Ich lade euch ein, das Bild einen Moment zu betrachten und dann in einem oder wenigen Stichworten festzuhalten, welches Gefühl oder welche Gedanken ihr beim Betrachten des Bildes habt.«
Nach einer kurzen Pause sollen die Teilnehmenden ihre Gefühle stichwortartig benennen. Alternativ ließe sich z. B. über das Umfragetool mentimeter eine Wortwolke aus Stichworten bilden, die während oder nach der Umfrage gezeigt werden kann. Als mögliche Rückmeldungen sind zu erwarten: »gewaltig «, »Staunen«, »Licht im Dunkeln«, »Verlorenheit«, »unvorstellbar«, »Weite«, »unendlich«, »Star Wars«, »friedlich«, »Schönheit«, »Wallpaper«, ….
Nach der Runde folgt eine kleine Erklärung:
»Was ihr gerade gesehen habt, ist der Orionnebel. Er ist eine Ansammlung von Sternen, die rund 1.350 Lichtjahre von uns entfernt ist. In klaren Dezembernächten lässt er sich mit bloßem Auge sehen. Schon vor vielen tausend Jahren haben ihn Menschen am Himmel beobachtet, wenn auch natürlich noch nicht in dieser Nähe und Auflösung. Aber er hat schon damals Empfindungen und Gedanken in den Menschen ausgelöst. So auch bei biblischen Erzählern, von denen folgender Bibelvers stammt:
Er allein breitet den Himmel aus [und geht auf den Wogen des Meers]. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens. (Hi 9,8–9)
Diese Worte spricht Hiob, die Hauptgestalt einer biblischen Erzählung. Hiob sieht den Himmel mit seinen Sternen. Den Großen Wagen, die Sterne des Südens und auch den Orion. Für ihn ist klar: Das alles hat Gott gemacht. Anders als für viele Menschen der damaligen Zeit sind die Sterne für ihn keine Götter, die das Leben und Schicksal der Menschen auf der Erde beeinflussen können. Der Gedanke, dass diese Schönheit und Unendlichkeit von Gott gemacht sind, löst aber bei ihm ganz unterschiedliche Gefühle aus. Denn gerade geht es Hiob nicht gut. Er hat harte Schicksalsschläge hinter sich: Alle seine Kinder sind ums Leben gekommen, er selbst ist todkrank und hat seinen ganzen Besitz verloren. Er fühlt sich allein gelassen und vergessen. Und wenn er in den Nachthimmel blickt, dann ist da kein friedvolles Gefühl, sondern eher ein Gefühl von »Lost in Space«.
Vielleicht kennt ihr dieses Gefühl auch? (Evtl. kann hier ein Stichwort aus der Umfrage vorher aufgegriffen werden.) Manchmal fühlt man sich wie verloren in diesem riesigen Universum. Gibt es da draußen wirklich jemanden, der an mich denkt? Bin ich nicht nur eine Ameise in diesem riesigen Weltall, die leicht zertrampelt wird? Gerade in Zeiten, wo es einem nicht so gut geht, wo es nicht rund läuft, wo man mit Leid im persönlichen Umfeld oder in dieser Welt konfrontiert wird, können solche Gedanken leicht aufkommen.
Doch Hiob macht etwas Erstaunliches. Er hakt Gott nicht einfach ab. Er verkriecht sich nicht in Selbstmitleid oder beschließt bei sich, dass es Gott einfach nicht gibt. Stattdessen haut er seine Fragen raus. Er spricht dabei Gott direkt an und klagt ihm sein Leid. Und Gott reagiert tatsächlich auf seine Fragen. Aber anders, als es vielleicht zu erwarten wäre: Gott gibt ihm keine Antworten, sondern antwortet mit Gegenfragen. Dabei greift er die Worte von Hiob noch einmal auf. Er fragt zurück: »Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen?
Kannst du die Sterne des Tierkreises aufgehen lassen zur rechten Zeit oder die Bärin samt ihren Jungen heraufführen? Weißt du des Himmels Ordnungen, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?« (Hi 38,31–34)
Die Gegenfragen Gottes mögen einschüchternd klingen, in Hiob bewirken sie etwas anderes. Er merkt: Gott ist größer, als ich gedacht habe. Ich kann ihn nicht einfach packen und zu einer Antwort zwingen. Wenn er der Schöpfer des Universums ist, dann ist er sogar größer als meine Fragen. Das lässt Hiob nicht frustriert zurück, sondern lässt ihn still werden. In seiner Diskussion mit Gott merkt er, dass er die »Warum-Frage« loslassen muss und loslassen darf. Bei Gott die Schuld zu suchen ist genauso sinnlos, wie sich selbst zum Schuldigen zu machen. Gott ist größer als die »Warum-Frage«.
Das ermöglicht ihm einen neuen Blick in die Sterne und auf Gott: Er sieht in den Sternen plötzlich nicht mehr das Werk eines bedrohlichen, allmächtigen Gottes, der mit seinen Geschöpfen macht, was er will. Stattdessen wächst in ihm wieder ein »zartes Glaubenspflänzchen«, dass Gott trotz allen Leids an seiner Seite steht. Er verlässt ihn auch dann nicht, wenn Hiob die »Warum-Frage« nicht beantworten kann. Hiobs Fragen sind nicht weg, aber sie kommen zur Ruhe. Und er spürt keine Angst mehr, wenn er in den Himmel blickt, sondern es wächst neues Vertrauen in ihm, dass er trotz allem sinnlosen Leids in einem »Großen und Ganzen« aufgehoben ist.
Vielleicht kann Hiobs Geschichte auch deine Geschichte sein. Es gibt Situationen im Leben, da jagt einem das Bild von so einem Sternennebel vielleicht Angst ein. Dann fühlst du dich allein mit deinen Fragen. Auf so manche »Warum-Frage« im Leben gibt es keine Antwort. Die Erfahrung vieler Menschen nach Hiob ist aber auch: Selbst wenn ich nicht immer verstehe, warum Dinge passieren, kann ich trotzdem glauben: Ich bin nicht vergessen, Gott steht zu mir jeden Tag, so wie der Sternenhimmel Nacht für Nacht über mir aufgeht. Auch in schwierigen Umständen sieht er mich, meine Gefühle und mein Leben. Er kennt meinen Namen.
So einen »Trotzdem-Glauben« kann man nicht einfach machen. Die Geschichte von Hiob macht mir aber Mut, dass er immer wieder möglich ist. Das gibt Kraft, den nächsten kleinen Schritt zu gehen und neu darauf zu vertrauen, dass das eigene Leben nicht den Launen der Natur oder den Launen Gottes ausgesetzt ist, sondern ein Geschenk dessen, der auch den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens gemacht hat. Und dann kann aus dem Fragen ein neues Staunen werden.
Amen
Tobias Fritsche
Landesjugendpfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern