Andachten aus Bibel AnDenken

Die Reihe "Bibel AnDenken" erscheint in gemeinsamer Herausgeberschaft der aej mit der Konferenz der Landesjugendpfarrerinnen und Landesjugendpfarrer in der Bundesrepublik Deutschland. Sie bietet Andachtsentwürfe, Materialien für Gruppenstunden und Freizeiten, Lieder, Informationen zur Jahreslosung und Monatssprüchen.

Cover BA 2023
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September 2023
Jesus Christus spricht: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Mt. 16, 15

Andacht September 2023

Ein guter Plan
Sie hatte doch alles sorgfältig überlegt. Sie kannte die Spielregeln – und dann das! Lea vergrub ihren Kopf in den Kissen. Sie würde nie wieder nach draußen gehen. Lieber würde sie sterben. Es war einfach zu peinlich!

»Schöner werden« hieß ihre Seite. Sie wollte Schminktipps geben, Modehinweise und ein paar Ratschläge in Sachen Liebe. Eine echte Influencerin.

Das war jedenfalls ihr Traum. Sein wie Caro Daur oder Leonie Hanne, die aus dem Nichts Millionen von Followerinnen gewonnen hatten. Okay, Lea sah nicht so toll aus wie die beiden. Aber da konnte man ja nachhelfen. Und genau das war nun das Problem!

Sie hatte Fotos von sich machen lassen. Sie gefielen ihr, aber da ließ sich noch einiges verbessern. Die Hüfte war zu breit, die Beine nicht schlank genug. So gab sie die Bilder in ein Fotobearbeitungsprogramm und machte sich schmaler. Gut sah das aus! Beinahe wie bei Leonie und Caro.

Nachdem sie fertig war, hat sie noch ein wenig mit einem Foto gespielt und Blödsinn damit getrieben. Die Hüften machte sie so dünn, dass sie fast nur noch ein Strich waren, während sie ihre Oberschenkel in zwei Baumstämme verwandelte. Zuletzt zog sie ihren Kopf in die Länge, so dass sie einem Alien ähnelte. Dann speicherte sie es ab unter »Beauty Queen« und vergaß das Ganze.
Dann speicherte sie es ab unter »Beauty Queen« und vergaß das Ganze.

Eine Woche später war die Seite fertig. Es fehlte nur noch ihr Foto. In diesem Augenblick klingelte das Handy. Sie nahm ab, quatschte mit Annabelle und klickte dabei auf »Beauty Queen«. Annabelle erzählte ihr von ihrem neuen Freund, Lea achtete gar nicht weiter auf die Seite. Die konnte noch eben warten.

Zwei Stunden später trudelten die ersten Posts ein. »Was hast du getan?« »Krass!« »Meinst du das ernst?« »Brüller!« »LOL« Sie verstand nicht. Bis sie ihre Seite öffnete. Direkt unter »Schöner werden« war ihr Bild platziert. Das Witzbild. Der Alien mit fetten Schenkeln und Bleistifttaille.
Hunderte von Kommentaren feierten ihr Missgeschick. Längst hatte sich das Bild im Netz verbreitet. Löschen würde nicht mehr helfen. Lea hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie klappte den Laptop zu und warf sich aufs Bett.

Lange lag sie so da. Wut und Scham wechselten sich ab wie Regen und Sonne. Wie hatte sie nur so blöd sein können? Und was dachten die anderen nun über sie?

Lea hat einen Fehler gemacht. In den sozialen Netzwerken rächt sich so etwas sofort. Das Heer der Selbstgerechten fällt über sie her. Ihr Traum, etwas Bedeutendes zu sein, liegt in Trümmern. Im Grunde ist sie erledigt. Das ist kein Spaß mehr, sondern eiskalter Ernst. Vielleicht bekommt ihre Psyche Sprünge, so wie ganz zartes Glas, wenn es erschüttert wird.

Die Meinung der anderen kann schrecklich sein. Sie kann Menschen zerstören. Besonders junge Menschen, weil sie solchen Shitstorms kaum gewachsen sind. Wenn ihr in Leas Lage wärt, wie würdet ihr reagieren? Was würdet ihr tun? Ich blende jetzt eine Webseite mit einem Code ein, z. B. mentimeter.com. Da könnt ihr eure Antworten hinschicken. Ihr könnt sofort verfolgen, welche Antworten es gibt …

Ja, die Palette eurer Antworten ist ziemlich bunt. Manches finde ich erschreckend. Denn letztlich ist es doch keine echte Katastrophe, die hier passiert ist. Doch vielleicht kann das nur jemand sagen, der solche Dinge nicht so wichtig nimmt. Vielleicht hat das für euch eine viel größere Bedeutung.

Der Meinung der anderen entkommen wir nur schwer. Aber sie darf uns auch nicht total überwältigen.

In einer Geschichte im Matthäus-Evangelium fragt Jesus seine Jünger, was die Leute von ihm halten. »Wer sagen die Leute, dass ich sei?« Und die Jünger sagen: »Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder ein anderer Prophet.« Jesus kommt nicht schlecht weg. Die Leute trauen ihm allerhand zu. Auf jeden Fall ist er in ihren Augen etwas Besonderes.
Doch das interessiert Jesus gar nicht. Er ist auch nicht geschmeichelt oder erfreut. Stattdessen wendet er sich nun direkt an die Jünger und fragt: »Was denkt ihr?«

Die Meinung der anderen, die ihn nicht kennen, hat für ihn keine Bedeutung.
Er möchte wissen: wie gut kennen ihn die Menschen, mit denen er täglich unterwegs ist? Wissen sie, wer er ist?

Sie wissen es.
Wie gut kennt ihr eure Freundinnen und Freunde, eure Geschwister, eure Eltern? Wie gut kennt ihr euch selbst?

Lea ist noch immer nicht wieder in der Schule gewesen. Ihre Eltern machen sich allmählich Sorgen. Ich frage mich, wie es mit ihr weitergehen könnte. Vielleicht sitzt sie eines Abends im Garten. Die Sonne ist schon untergegangen. Es ist das erste Mal, dass sie draußen ist seit ihrem Missgeschick. Es dämmert bereits. So ist sie nicht gut zu sehen. Sie sitzt unter dem Holunderbusch und starrt ins Leere. Auf die Anrufe ihrer Freundinnen hat sie nicht reagiert. Über ihr singt eine Amsel. Die Gartentür quietscht. Jemand kommt herein. Lea drückt sich tiefer in den Schatten. Sie will mit niemandem reden. Aber sie kann hören, wie die Person schnurstracks ihren Weg findet und immer näher kommt. Dann steht sie direkt vor ihr.
»Hallo Lea!« »Hallo Jannik.« »Wir machen uns Sorgen um dich«, sagt Jannik leise. »Das kannst du vergessen. Ich bin erledigt.«

Jannik setzt sich neben sie. Lea guckt ihn nicht an. »Ach komm schon, das ist doch keine echte Katastrophe.«

«Doch, ist es, Jannik! Ich habe mich total blamiert.«
»Naja, komisch war es schon – dieses Zombi-Foto unter ›Schöner werden‹.« »Siehst du, jetzt machst du dich auch über mich lustig.« »Nein, ich sage nur, wie es gewirkt hat. Gib zu, das war schon komisch.« »Wenn es nicht mir passiert wäre, würde ich dir vermutlich zustimmen.« »Bestimmt«, sagt Jannik, »und du hättest auch einen Kommentar dort abgesetzt.«

»Hätte, hätte! Kann schon sein. Aber ich habe Mist gebaut, nicht die anderen. Was meinst du, wie die jetzt über mich reden « Jannik rückt etwas näher heran. »Warum wolltest du denn überhaupt so einen Account?«, fragt er vorsichtig. Lisa überlegt kurz. Sie wird ihm nicht alles sagen. »Ich habe gedacht, es ist eine gute Idee, Influencerin zu werden. So wie Caro Daur oder Leonie Hanne.«
»Kenne ich nicht«, gibt Jannik zu.

»Die haben Millionen Follower«, sagt Lea, »und so was wollte ich auch. Mir hätten schon ein paar Hundert gereicht.«

»Aber warum?«, will Jannik wissen. »Warum brauchst du so was? Du hast doch Freundinnen und Freunde.«

»Ja, die habe ich. Aber irgendwie wollte ich größer sein. Manchmal, wenn ich in den Spiegel gucke…« Sie bricht ab.
 
»Meinst du wirklich, das hätte dir geholfen?«, fragt Jannik. »Und dann ist da doch alles nur Schwindel. Du wolltest bestimmt ein anderes Foto hochladen, das auch bearbeitet war. Stimmt’s?

« Lea nickt. »Ach, manchmal habe ich das Gefühl, das mich niemand wirklich
mag.«

»Aber das ist doch Quatsch. Ich kenne da schon einige, die dich mögen.«
»Ja, wen denn?«
»Na, mich zum Beispiel.« Jannik ist froh, dass es inzwischen fast dunkel ist. Er spürt, wie seine Wangen glühen. »Ich mag dich wirklich. Aber nicht auf Insta, sondern in echt. So wie du bist.« »Danke«, sagt Lea. Sie ist ganz überrascht. Eigentlich hat sie Jannik nie richtig beachtet.

»Ich bin übrigens hier, weil ich eine Idee habe«, sagt er. »Ich glaube, wir können das Ganze in einen mega Hype umkehren.«

Lea glotzt ihn an. Wie soll das denn gehen? Eine solche Blamage lässt sich doch nicht in etwas Tolles verwandeln. »Erzähl«, fordert sie Jannik auf. »Naja, es ist eigentlich ganz einfach. Du schreibst: ‚Wer schöner werden möchte mit Bildbearbeitungsprogrammen, ist hier falsch. Ich gebe euch ehrliche Tipps. Und der Erste lautet: Wenn du schöner werden möchtest, musst du dich annehmen, wie du bist. Schönheit beginnt mit Akzeptanz.’ Und dann schreibst du unter das Zombi-Foto ‚vorher’ und lädst ein echtes Foto von dir hoch und setzt ‚nachher’ darunter.«

»Das, das ist genial«, sagt Lea.
»Die Leute werden denken, du hast das mit Absicht so gemacht und werden sich überschlagen vor Bewunderung.«
 »Danke!«, sagt Lea und drückt Janniks Hand. Etwas länger als üblich.

Dann verabschieden sie sich. Lea setzt sich an ihren Laptop. Ihre Hand ist noch warm von einer fremden Hand. Der Hand eines Jungen, der ihr gezeigt hat, dass er sie mag.

Wolfgang Blaffert

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